Passend zum Fest eine weitere gut abgehangene Kolumne, diesmal sogar aus dem Jahr 2000.
Einmal im Jahr kann man auf Erden ein drolliges Schauspiel beobachten. Die Menschen huldigen mit panischen Einkäufen den Göttern des Konsum, um wenige Tage später den Götzen des Familienstreits zu opfern – manchmal sogar ihre Familienmitglieder. Wenn aber kein Festtagsmassaker dazwischenkommt, dann kann man in vielen Haushalten Szenen wie die folgende erleben:
Mutter: „Bescheeeerung!“
Sohn: „Na endlich!“ (zerfetzt die Verpackung eines Geschenks)
Oma: „Dat is von mich!“
Sohn: „Äh… was ist das denn? Eine Unfallversicherung?“
Oma: „Ja, du wolltest doch was von der DAS!“
Sohn: „DSA! Ich hab gesagt DSA! Ach egal – danke Omma!“
Vater: „Das hier ist von mir, mein…!“
(Das Geräusch von zerfetzendem Papier übertönt sein letztes Wort)
Sohn: „Cool, das Shadowrun-Regelwerk… Aber, aber… das ist ja die erste Edition!“
Vater: „Ich hab es sogar noch um zehn Mark billiger gekriegt!“
Sohn: „Aber das ist veraltet!“
Vater: „Ach, so viel wird sich schon nicht geändert haben! Ist doch nur ein Buch!“
Sohn: (Langsam verzweifelt): „Kann man das vielleicht umtauschen?“
Mutter: „Jetzt pack meins aus, pack meins aus!“
(Sohn, schon deutlich skeptischer, wickelt ein weiteres Buch aus)
Sohn: „Das neue D&D Regelwerk.“
Mutter: „Na, ist es das richtige?“
Sohn: (ungläubig): „Ja… Ja, sieht so aus!“
Mutter: „Schön, da freu ich mich!“
Sohn: „Danke! Vielen Dank!“
Mutter: „Ach so, die ganzen Seiten mit den halbnackten Frauen hab ich natürlich rausgeschnitten!“
(Ein langgezogener Schrei, während das Bild dunkel wird. Szenewechsel: Der Sohn kauert in der Besenkammer, wippt vor und zurück)
Sohn: „Ich wollte doch nur… ein bisschen spielen… ist das zuviel verlangt?“
(Die Türe öffnet sich, die Schwester schaut hinein, wirft ihm dann einen einzelnen W10 an den Kopf)
Schwester: „Da, Frohe Weihnachten, Brüderchen!“
(Sohn presst den Würfel an seine Brust und weint)
In diesem Sinne: Ein fröhliches Weihnachtsfest!
André Wiesler