Aus dem Archiv – Rollenspielkolumne 5: Der Rollenspieler an sich, oder: Packzeuch, allsamt!

Und noch mal grabe ich tief im Archiv und lege mich schief um aus dem Mief was zu ziehen, das vor Altertum trief … t. Yo! Man merkt aus der Referenz auf pupertäre Rollenspieler, wie alt der Text ist.

Rollenspieler zeichnen sich durch Kreatvität, Phantasie, Kommunikationsfähigkeit, Gewaltlosigkeit im wirklichen Leben und Kontaktfreudigkeit aus. Außerdem sind sie gutaussehend, potent, intelligent und spenden Blut, Samen und was sonst noch so an verzichtbaren körpereigenen Dingen gebraucht wird. Sagen die Rollenspieler.

Rollenspieler sind pickelverzierte, gewaltbereite Drogensüchtige, die vom vielen Sitzen übergewichtig geworden sind und vor dem Druck ihrer verkorksten Wirklichkeit in eine Traumwelt flüchten. Sagen die Rollenspielhasser.

Recht haben, so schmerzlich es ist, beide ein wenig! Wer kennt sie nicht, die jungen Burschen und seltener Mädel, die sich bei einem Con unter Vortäuschung falscher Tatsachen in die Gruppe geschlichen haben. Das viele von ihnen pickelverziert sind, mag – gerechterweise sei es erwähnt – an der Pubertät liegen, und der Umkehrschluss, dass Pickel einen schlechten Rollenspieler erkennen lassen, ist unzulässig!

Da sitzen sie nun, unverrückbar, und ziehen das Spielniveau herunter wie Betonschuhe einen erfolglosen Mafiosi.

„Was willst‘n spiel‘n?“ fragt der Spielleiter, sich der Zeitbombe des würfeldominierten Spielens in seiner Nähe noch nicht bewusst. Wenn er sich bemüht, klar und hochdeutsch zu sprechen, fragt er möglicherweise sogar: „Was möchtest du denn spielen?“

„Kämpfer!“ kommt es zurück. Man bemerke die geschickte Einsparung des Artikels, die der Aussage noch mehr Gewicht gibt. (Es gibt natürlich auch diejenigen, die an dieser Stelle: „Magier“, „Dieb“, oder „Elf“ grunzen. Möglichst noch von gegensätzlichem Geschlecht des Spielers.)

„Äh… ja. Was spielst du denn sonst noch so?“

„Bei DSA’n Krieger, bei Star Wars’n Kopfgeldjäger, bei Shadowrun’n Street Samurai, bei D’un’D’n Chaoskrieger, bei PP&P’n Killerkrokodil, bei…“

„Ja, danke!“

Da hat man also wieder einen sitzen (einen Spieler – das andere kommt aus Verzweiflung nach dem Spiel). So einen Kerl, dessen Charaktere sich nur in der Art ihrer Massenvernichtungswaffen (oder Sprüche, oder Einbruchswerkzeug, oder Bogengröße) unterscheiden und vielleicht noch verschiedene Namen haben – aber das letzte ist nicht sicher! Ich hatte schon Spieler, bei denen alle Charaktere „Ulfgart“ oder „Blade“ hießen!

Und man kriegt den nicht wieder weg! Ich habe schon alles versucht!

Auf die Sanfte: „Du, nimm dir mal einen Keks. Das fällt mir jetzt echt schwer, dir das zu sagen, ne, aber ich finde irgendwie, dass du nicht so richtig mit der Gruppe harmonisierst, du!“

Auf die Gemeine: „Du bist hässlich, stinkst, und spielst beschissen!“

Auf die Brachiale: „Verpiss dich, ich will nicht, dass du mitspielst!“

Oder auf die Hinterhältige: „Tja, da trifft dich ein Schuss aus dem Hinterhalt *klapper, klapper* Oh nein, so ein Pech! Du bist Tod!“

Hat alles keinen Zweck. In ihrer Gier, Spielgruppen zu ruinieren, ignorieren sie jeden Angriff und verweigern die Annahme jeder Vernunft. Und natürlich haben sie mehrere (praktisch identische) Charaktere des Spielsystems dabei.

Man fügt sich also, immerhin hat man ja nun schon eine Stunde darauf verschwendet, den Kerl zu schlagen, zu beschimpfen und in einer hastig verordneten Essenspause den Tisch zu wechseln, ohne ihm Bescheid zu geben, aber auch ohne das es etwas genutzt hätte. Sie kommen immer wieder!

Man spielt also. Es baut sich Stimmung auf, weil man in jahrelanger Erfahrung gelernt hat, solche Typen nicht an die Reihe kommen zu lassen, aber dann sieht man ihn da sitzen. Blutunterlaufene Augen starren einen flehend an, der Eiter auf den Pickeln scheint vor Vorfreude zu blubbern und ein Speichelfaden tropft vom Mundwinkel in die Kaffeetasse. Und – verflucht seiest du, oh schwaches Herz – man empfindet Mitleid. Man macht sich daran, ihm eine Szene zu bauen, in der sogar sein flacher Charakter einen Aufritt haben kann. In meinem Fall – und auch wenn ich es in dieser Kolumne mit der Wahrheit manchmal vielleicht nicht ganz so genau nehme, schwöre ich: so hat es sich wirklich zugetragen – war es wie folgt: Schurken, 10 an der Zahl, bereit, sich auf die Gruppe zu stürzen, umringen sie. Der Krieger, wie erwartet, springt vor und verkündet: „Ich schüchtere sie ein!“

„Beschreib, was du machst!“ rufe ich begeistert.

Es ward Schweigen – lange Zeit. Dann: „Kann ich nicht lieber würfeln?“

Manchmal weine ich mich wegen dieser Szene heute noch in den Schlaf.

 

Aus dem Archiv – Rollenspielkolumne 4: Bis die Federbetten rascheln

Und wieder springen wir in die Zeitmaschine. Diese Kolumne stammt aus dem Jahr 2001, aber das Thema ist zeitlos …

Ich habe bereits mehrfach gewarnt, dass Rollenspiel den Blick auf die reale Welt verzerren kann. Heute möchte ich das an einem Thema festmachen, das alle interessieren dürfte: Sex!

Werfen wir einen Blick in eine „normale“ Rollenspielgruppe, bestehend aus einem halben Dutzend pubertierender Jugendlicher bis 25 Jahre. Was für ein Bild von körperlicher Liebe wird dort vermittelt? Wer schwache Nerven hat oder einen Funken emanzipatorischer Gedanken, möge sich jetzt schon mal erschrocken an die Stirn fassen.

Der darbende Reisende kann in den meisten Runden sicher sein, dass jede Schenke ein bis zwei junge, hübsche Mägde bereit hält, die in der Lage sind, sechs Bestellungen auf einmal auf dem wogenden Busen zu servieren. Und natürlich sind die jungen Damen mehr als willig, sich mit den Helden in die Bettkiste zu begeben und dort dann diverse Dinge in verschiedenen Körperhaltungen zu tun, die am Tisch mit der Verkündung: „Darüber wollen wir einen romantischen Vorhang legen“ umschrieben werden. Früher dachte ich, dass wäre der Versuch, den Akt gegenseitiger Offenbarung nicht mit pornoartigen Beschreibungen zu besudeln, aber heute weiß ich: Die Jungs wissen einfach nicht, wie es geht!

Aber zurück zu unserem Problem: Unser junger Held hat nun also Woche für Woche virtuell die Bedienungen ganzer Kontinente gepoppt und wenn sein Spielleiter gnädig war, hat er ihn mit Konstitutions- oder Schwangerschaftsproben verschont. Jetzt erwacht aber in seinem jugendlichen, cholesteringeschädigten Körper die Lust, das Ganze auch umzusetzen. Also begibt er sich in die nächste Kneipe und schon trifft es ihn hart. Die Bedienung ist weder jung, noch hübsch, und auf ihren Brüsten könnte man nur dann Essen servieren, wenn man es in der Senkrechten festtackert. Aber egal, unser Freund vertraut auf seinen Charme und sein gutes Aussehen (es ist wie mit den Bösen, die nicht wissen, dass sie böse sind …) und bringt den unfehlbaren Aufreißersatz, mit dem er noch jede Magd ins Bett bekommen hat: „Hallo schöne Frau! Ich bin ein einsamer Reisender und mich dürstet nach euren zwei großen Krügen Milch!“
„Zwei Milsch, kommts’fort“ schallt es reibeisen-lieblich zurück.
Verwirrung! Enttäuschung! Was geschieht? Das war nicht geplant! Die Bedienung bringt zwei Milch und unser Held setzt nach: „Oh holdes Fräulein, ich trage ein gar prächtiges Schwert unter dem Tische, wollt ihr es bestaunen?“
„Wat?“
„Äh, eure Diebe sind wie Eltern, sie haben die Augen gestohlen und in eure Sterne gesetzt?“
„Hä?“
„Ich geb’ euch auch eine Goldmünze?“

Und damit sind wir bei der zweiten großen Falle des Rollenspiels: Prostitution. Wohin der Charakter sein Auge wendet, er findet Freudenmädchen, die diesen Namen zurecht tragen. Zum einen sind sie eine Freude für das Auge und zum anderen haben sie Freude an ihrem Beruf. Es sind keine finanziellen Nöte, keine Arbeitslosigkeit, die zur Prostitution treiben, sondern der Drang, mit möglichst vielen Männern zu schlafen – meist sind die Huren denn auch wohlgebildete Frauen von ehemals adeligem Stand, die einem ordentlichen Liebhaber (und welcher Held wäre das nicht?) auch gerne mal die Zeche erlassen, weil er sie so gut … lieb gehabt hat.

Wieder in der Realität: Die Enttäuschung ist verwunden, aber es bleibt die Entschlossenheit in Herz und Hose. Also versucht es unser junger Mann bei einem einschlägigen Freudenhaus. Gehen wir davon aus, er findet eine Dame – vermutlich aus dem Ostblock – die auf seine Wünsche eingeht. Nach kläglich versägtem Akt vertraut er nun natürlich darauf – immerhin hat er seinen letzten 50er für das neue Shadowrun-Regelwerk ausgegeben – dass die gute Frau ihm die Zahlung erlässt.

Erst  nach einer innigen Begegnung mit den Bikerboots des goldkettenbehangenen Freund der Dame sieht er ein, dass dem wohl doch nicht so ist.

Also: Wenn ihr nicht Nachts in Unterhosen über den Kiez torkeln wollt, so schwört ab vom Sex im Rollenspiel

PS: Man sollte meinen, wenn Damen an der Spielrunde teilnehmen, sollte sich das Verhalten ändern– weit gefehlt. Flugs werden Knechte und Freudenmänner eingeführt und weiter geht die wilde … Rollenspielerei.

Rezension: Schöne neue Welt

Aus der Reihe: Klassiker, die man angeblich gelesen oder gesehen haben muss (zu dem Thema und als Aufhänger für umfangreiche Flamewars: Citizen Cane, Der Pate, Apocalypse now und Cassablanca sind stinklangweilig, eignen sich nur als Zitatsteinbruch und sind völlig überschätzt, der Hofnarr hingegen ist echtes Gold) heute: Schöne neue Welt (Brave New World) von Aldous Huxley.

Vorweg Grüße an Svenja Wallbrecher, der das auf dem Flohmarkt erstandene Buch offenbar vorher gehörte – zumindest steht ihr Name vorne drin. Wenn du das hier liest, melde dich bei mir, dann schenke ich dir eines meiner Bücher 🙂

Schöne neue Welt reiht sich nahtlos in die Reihe der bekannten und im Schulunterricht totinterpretierten Dystopien wie 1984 oder Fahrenheit Dingensirgendkirchen (kann mir die Zahl nicht merken und bin zu faul, zu googlen) ein. Das Buch erschien 1932 und schildert eine Welt, in der Familien abgeschafft sind, Menschen in Reagenzgläsern und künstlichen Gebärmuttern herangezüchtet und schon dabei intellektuell und physiologisch auf eine bestimmte Schicht in der Gesellschaft hingezüchtet werden. Drogen und Dauerunterhaltungsprogramme machen sie gefügig und glücklich sein wird vorausgesetzt (hat da jemand „Bürger“ gesagt?).Bücher sind igitt, Bildung und kritische Gedanken ebenso, Konsum ist Weltreligion.

Das Buch, das der Übersetzer ebenso wagemutig wie erfolgreich aus England nach Deutschland verpflanzt, erzählt die Geschichte verschiedener Mitglieder dieser Gesellschaft, einige davon haben Schwierigkeiten, sich in dieses Idealbild einzufügen, andere werden praktisch gegen ihren Willen aus dieser „Idylle“ gerissen. Und dann gibt es da noch den Wilden aus einem unreglementierten Reservat, der als Attraktion eingeflogen wird.

Der Erzählstil des Buches ist an vielen Stellen überraschend modern und konkret, an anderen fühlt es sich doch eher wie ein Gleichnis an und die Sprache ist für das 2012er-Auge ein wenig schwergängig. Die geschilderte Gesellschaft mit verschiedenen sozialen Kasten, medialer Dauerberieselung mit dem Anspruchslosen und der dauernden Gier nach Sex kommt unangenehm nah an viel heran, mit dem wir uns heute herumschlagen müssen. Die Menschenzucht ist zum Glück noch nicht so weit gediehen, aber gerade im Licht moderner moralisch-ethischer Diskussionen über Frühtests während der Schwangerschaft steckt auch hier viel Gedankenpotenzial.

Das Ende des Buches ist recht defätistisch und abrupt und wirkt ein wenig, als wisse der Autor selbst nicht so recht, wie er aus der Nummer wieder rauskommt.

Kurzum: Wer das Buch in der Schule noch nicht gelesen hat und Dystopien generell verkraften kann, könnte zu diesem Klassiker greifen, ohne es zu bereuen. Ein Dan Brown ist sicher spannender, dafür aber in der Regel auch doppelt so dick und nicht halb so gedankenanregend 🙂 Ich habe es nicht bereut, das Ding gelesen zu haben, aber eine Fortsetzung hätte ich jetzt auch nicht gebraucht.

Aus dem Archiv – Rollenspielkolumne 3: Auf zum heiteren Drogenmissbrauch

Wir schreiben das Jahr 2001 und die Spaßbremse Wiesler schwingt sich zum Moralapostel auf:

Ich möchte heute mit der grabesschweren Stimme eines Autors, der weder trinkt noch raucht, auf eine zunehmende Unsitte in der weiten Welt des Rollenspiels hinweisen. Da sitzen junge Burschen beisammen, bei denen sich unter der Nase, ja vielleicht sogar unter dem Gürtel noch nicht der erste Flaum zeigt, Kinder, wenn man es fürsorglich ausdrücken möchte. Sie sitzen beisammen, auf den ersten Blick vereint im kommunikativ und sozial fördernden Rollenspiel – oh unschuldige Spiele der Jugend. Doch dann offenbart sich das Laster in all seinen Untiefen!

Der Krieger besäuft sich, der Zwerg pafft Knaster, der Dieb schluckt Rauschbeeren. Diese Jugendlichen, deren jungfräulichen Geschmacksknospen (hoffentlich) noch nicht vom Rauch einer Zigarette geschändet oder vom profanen Beigeschmack des Im-Unterhemd-auf-Couch-und-arbeitslos jeden Bieres beleidigt wurden, haben nichts Eiligeres zu tun, als sich bei jeder Rast in den Schilderungen ihrer Drogen-Exzesse zu übertreffen. Kein Jäger Cthulhus ohne Kippe im Hals, kein Werwolf ohne Haschpfeife, kein Runner ohne Heroinspritze.

Aber gut – lassen wir die Zweifelhaftigkeit der Situation außer acht, um nicht Wasser auf die Mühlen erzkatholischer Rollenspielhasser zu gießen. Wenden wir uns den rollenspielerischen Folgen zu.

Da liegen sie also nun um das Lagerfeuer, die tapferen Junkies. Der Krieger besoffen, der Zwerg bekifft und der Dieb stoned. Plötzlich bricht eine Horde Orks aus den Gebüschen und versucht ihrem Tagewerk nachzugehen, was in diesem Fall bedeuten würde, die Helden aufzuschlitzen und mit ihrer Ausrüstung zu entschwinden – von irgendwas muss man ja leben.

Die Spieler überschlagen sich, jeder will der erste sein, der zum Morden antritt. Betrunken? Ach was, doch nicht von den paar Bier. Bekifft? Das war doch nur normaler Tabak! Stoned? Von Preiselbeeren?

Wie von Götterhand sollen sich die diversen Nervengifte aufgelöst haben, ihr Einfluss abgeglitten sein wie Hautcreme von der Haut eines Zwergen. Wenn das im wirklichen Leben mal so einfach wäre.

„Was, Herr Wachtmeister? Getrunken? Ich? Aber Herr Oberkriminalkomissar, ich doch nicht! Moment, Herr Polizeipräsident, ich muss nur mal schnell meine Orks aus dem Kofferraum holen!“

Aber selbst wenn kein Schreck die Helden ernüchtert, so wollen die Spieler doch auch am nächsten Morgen nicht mit Dingen wie Kopfweh oder Übelkeit geplagt werden. Wozu hat man schließlich wertvolle Steigerungen auf den Wert Zechen verschwendet? Doch nur, um vom Spielleiter endlich mit solchen Nichtigkeiten verschont zu werden!

In Anlehnung an ein bekanntes Zitat, möchte ich schließen mit: Nicht Drogen bringen Menschen um, sondern… ähm… sondern zu viele Drogen!

Rezension: Die zerbrochene Puppe

Mein Ausflüge in den Steampunk als Leser sind bisher nicht allzu vielzählig gewesen, was unter anderem damit zusammenhing, dass die wenigen Werke, für die ich mir Zeit genommen hatte, entweder twilighteske Zuckerromanzen mit ein paar eingestreuten Zahnrädern, moralinsaure Technokritiken oder schlichtweg „08/15, aber jetzt mit Luftschiffen“ waren. Das Buch, dass mir aus dem Genre bisher am besten gefallen hat, war Das mechanische Herz, das ich hier besprochen habe.

Ich bin sicher, es gibt sehr viele Beispiele von Steampunkromanen, die auch mir gefalllen würden, aber die sind mir eben bisher noch nicht untergekommen. Die zerbrochene Puppe hatte den unfairen Vorteil, dass sie von einer Kollegin, die ich sehr schätze, und ihrem Mann, den ich ebenfalls sehr schätze, aber nicht ganz so attraktiv finde, geschrieben wurde: Judith C. und Christian Vogt zeichnen für diesen Roman verantwortlich.

Und was soll ich sagen: Ich habe einen neuen Liebling in Sachen Steampunk. Judith und Christian schaffen es, eine originelle Geschichte über einen Künstler zu erzählen, der im Schatten seiner genialen Frau steht. Diese Frau schickt sich an, nicht weniger zu schaffen, als die Geschichte der Stromerzeugung zu revolutionieren. Entsprechend gefragt ist sie in den Industriellen-Kreisen des 19. Jahrhunderts. Eines frostigen 19. Jahrhunderts übrigens, das mit dem uns bekannten wenig gemein hat, wie es sich für Steampunk gehört.

Die Vogts ziehen aber mit ihrer alternativen Historie ganz neue Register, denn wer hätte bislang von friesischen Luftschiffpiraten oder Städten auf Eisbergen an norwegischen Küsten gehört? Ich will über den Inhalt nicht zuviel verraten, aber das überaus begabte Autorenpaar schafft es, eine sympatische Hauptfigur auf natürlich scheinende Weise über sich hinauswachsen zu lassen, der Humor und sogar die Erotik kommen nicht zu kurz und es gibt Luftschiffkampfszenen, bei denen sich Rocketeer mehr als eine Scheibe abschneiden könnte.

Eine spannende, phantastische Geschichte mit Automaten, Aristokratie und aberwitzigen Aeronauten. Kaufen, lesen, noch ein paar mal kaufen, zu Weihnachten verschenken lautet meine Empfehlung!

Und ja, ich weiß, ich finde bisher jedes Buch von Judith toll, das ich lese. Was soll ich machen? Sie schreibt halt einfach keine schlechten Bücher …

Hier noch der Klappentext, lasst euch von den seltsamen Schriftzeichen nicht abhalten …

Die Physikerin Æmelie von Erlenhofen stellt auf einer Konferenz in Venedig den Prototypen einer Brennstoffzelle vor. Kurz darauf dringen wandelnde Tote in ihre Unterkunft ein und töten die Wissenschaftlerin, der es gerade noch gelingt, ihrem Mann Naðan die Flucht zu ermöglichen. Das Letzte, was sie ihm mit auf den Weg gibt, ist ihre alte Porzellanpuppe, die von nun an Naðans beste Freundin wird, da sie mit der Stimme seiner verstorbenen Frau spricht. Die sterblichen Überreste Æmelies indes verschleppen die wandelnden Kadaver.
Die Polizei kann der Spur bis nach Æsta, einer schwimmenden Stadt auf einem Eisberg, folgen, wo sie sich verliert. Naðan beschließt, weiter nach Æmelies Leiche zu suchen. Mittellos fahndet er zwischen Gewerkschaftlern, Huren und Opiumsüchtigen nach dem Täter.
Eine Odyssee beginnt, in deren Verlauf Naðan zahlreiche Irrungen und Wirrungen durchleben muss, ehe er einem schrecklichen Geheimnis auf die Schliche kommt.

Schreibtipp – Spannungsbögen 1: Viele Fragen führen ans Ziel (Gastbeitrag)

Ich freue mich, euch heute einen Gastbeitrag präsentieren zu können. Jurenka Jurk hat sich bei mir gemeldet, und sich als Gastautorin angeboten. Herausgekommen ist folgende sehr schöne Grundlagenerklärung zum Thema Spannungsbögen. Wenn ihr auch einen Gastbeitrag schreiben wollt, meldet euch bei mir. Gerne auch mit Thesen, die meinen Auslassungen widersprechen, denn wie in jedem Handwerk führt auch beim Schreiben oft nicht nur ein Weg zum Ziel.

Spannende Romane fesseln den Leser. Aber was ist Spannung und wie kann sie ein Autor erzeugen?

Ich stelle mir ein Gummiband vor, das ich über zwei Finger lege. Je weiter ich diese auseinanderziehe, desto gespannter wird das Band. Auf den Leser übertragen benötigen wir also zwei Pole, zwischen denen er hin- und hergerissen ist. Den einen nenne ich „Hoffnung“ und den anderen „Erwartung“. Der Leser hofft, dass die Figur ihre Ziele erreicht. Zugleich bauen wir Autoren immer neue Hindernisse in die Geschichte ein, was den Leser erwarten lässt, dass der Hauptfigur das erwünschte Glück verwehrt bleibt. Wird sie es trotzdem schaffen?

Solche Fragen, die der Leser sich im Verlauf einer Geschichte (meist unbewusst) stellt, sind Spannungsbögen. Die Antworten darauf beenden die Bögen.

In der Unterhaltungsliteratur gibt es eine genretypische „Hauptfrage“. Sie treibt den ganzen Roman voran. Zum Beispiel: Wird Batman Gotham City retten? Finden die zwei Liebenden zueinander? Oder: Wird der Mörder hinter Gitter gebracht? Diese Hauptfragen werden früh aufgeworfen und erst am Schluss beantwortet. Dazwischen gibt es weitere Fragen (z. B.: Schafft Batman sein Hüftleiden rechtzeitig zu heilen?). Dabei haben die kleineren Spannungsbögen gewöhnlich immer etwas mit dem Hauptbogen zu tun.

Ausnahmen können Nebenhandlungen sein wie die Liebesgeschichte in einem Thriller. Aber im besten Fall sind auch sie eng mit der Haupthandlung verknüpft. Bleiben wir beim Film „The Dark Knight Rises“: Die Frau, mit der Batman ein paar schöne Stunden vorm Kamin verbringt, ist die eigentliche Rädelsführerin.

Damit ein Buch spannend bleibt, braucht es genügend offene Fragen. Als Autor muss man also darauf achten, nicht zu viele Spannungsbögen abzuschließen, ohne neue Fragen aufgeworfen zu haben. Und sobald der Hauptspannungsbogen beendet ist, sollten nur noch nebensächliche Fragen beantwortet werden. Sonst wirkt der Schluss nicht „erlösend“ – aber das hat der Leser (oder Zuschauer) sich nach stundenlanger Anspannung verdient.

Die ideale Verteilung von Spannungsbögen sieht also in etwa so aus:

Ein paar Worte noch zur Entspannung, denn sie ist ebenso wichtig. Der Mensch ist sehr anpassungsfähig. Ein Presslufthammer vor der Haustür ist zu Beginn eine Qual für unsere Ohren. Lärmt er die ganze Zeit, so gewöhnen wir uns an ihn und nehmen ihn kaum noch wahr. Wenn er aber gelegentlich verstummt, werden wir ihn immer wieder als nervend empfinden. Ähnlich verhält es sich mit der Spannung. Damit der Leser von der Geschichte gefesselt bleibt, braucht er Momente der Ruhe. Gönnt eurem Helden und euren Lesern also ein paar schöne Stunden vorm Kamin und verknüpft das später wieder mit dem Hauptspannungsbogen.

Jurenka Jurk

Schreibfluss – Die Schreibschule am Bodensee

Für flüssiges Schreiben und wasserdichte Texte

Mit einer Ausbildung zum Romanautor

www.schreibfluss.com, mail@schreibfluss.com

Wie schreibe ich ein Buch? Anmeldefrist endet Samstag

Bis Samstag, den 15.12. habt ihr noch Gelegenheit, euch bei meinem Wochenendseminar zum Thema Wie schreibe ich ein Buch? im Januar anzumelden. Im Rahmen des dreitägigen Kurses beantworten wir gemeinsam Fragen wie die folgenden und sorgen dafür, dass Anfänger und Fortgeschrittene gleichermaßen jede Menge Handwerkszeug und Motivation für das eigene Buch mitnehmen.

Übrigens auch ein ideales Weihnachtesgeschenk 😉

  • Wie komme ich auf Ideen und wie setze ich sie um?
  • Kann man vom Schreiben leben, und wenn ja, wie gut?
  • Wie plane ich ein Buch?
  • Wie bleibe ich dabei, bis es fertig ist?
  • Wie muss mein Manuskript aussehen?
  • Was ist ein Exposé?
  • Wie geht es in der Verlagslandschaft wirklich zu?
  • Was macht ein Lektor, was macht er nicht?
  • Brauche ich einen Agenten?
  • Was ist ein Spannungsbogen und wie baue ich ihn auf?
  • Wie schreibe ich gute Figuren? Dialoge? Beschreibungen?
  • Welche rechtlichen Fallstricke muss ich beachten?
  • Mein Buch ist erschienen, was nun?
  • Muss ein Autor eine Facebookseite haben?

Benefiz war ein voller Erfolg

Sehr, sehr schön war es gestern im katholischen Stadthaus. Dort bin ich mit AkuaK aufgetreten und wir haben mit Eintrittsgeldern und Spenden fast 500 Euro für den Kinderhospizdienst zusammenbekommen. Vielen, vielen Dank an alle, die da waren und von mir speziell für eure Begeisterung. Es hat einen Riesenspaß gemacht. Danke auch nochmal an Silke Kirchmann, die das alles möglich gemacht hat.

Und wenn ich durchs Fenster nach draußen schaue, bin ich grad sehr froh, dass die Veranstaltung gestern war und nicht heute ist, denn in Wuppertal siehts aus wie in Sibirien und das Haus gegenüber verschwindet im Schneegestöber.

Das wird euch aber hoffentlich morgen nicht davon abhalten, zu versaute Weihnachten zu kommen. Wir heizen euch da auch so richtig ein, versprochen!

Aus dem Archiv – Rollenspielkolumne 2: Alea (fast) jacta est

Erneut öffnet sich ächzend die staubbedeckte Archivkiste und spuckt eine weitere Kolumne aus dem Jahr 2001 aus. Und nein, ich weiß auch nicht, warum mein früheres Ich so verbittert war – vermutlich ist es einmal zu oft gezwungen worden, Vampire-Live zu spielen.

Spielleiter sein kann eine schwere Last sein. Sicher, man kann ungestraft seinen Sadismus an den sich windenden, jammernden Spielern auslassen, aber gerade das birgt manche Gefahren. Es ist wie bei der Tierdressur: Zuckerbrot und Peitsche. Benutzt man die Peitsche zu oft, werden die Löwen stinkig und früher oder später kommt einer auf die Idee: „Er kann nur einen von uns erschießen, bevor er tot ist!“

Lässt man hingegen die Leine zu lang und übertreibt es mit dem Zuckerbrot, werden die Löwen fett und keiner will Fellklumpen sehen, die kurzatmig auf Podesten hocken.

Nun sind zwar die meisten Rollenspieler vom langen Herumsitzen und Chips futtern bereits deutlich übergewichtig (oder sind sie vorher schon übergewichtig und werden darum Rollenspieler? Das sind soziokulturelle Vorgänge, die es wert wären, beleuchtet zu werden – aber nicht heute), aber wir wollen die Metapher auch nicht zu sehr strapazieren.

Ein guter Spielleiter beachtet folgende grundlegenden Prinzipien:

1) Niemals offen würfeln!

Kein Spielleiter, der was auf sich hält, würfelt offen. Auch wenn der gute alte Sichtschirm aus der Mode gekommen ist, hauptsächlich wegen der hässlichen Zweiteilung, die er im Sommer beim Draußen spielen dem Gesicht verpasst (oben braun, unten käsig), hat dieser Punkt bestand. Man sollte zumindest einen Würfelbecher sein eigen nennen und darüber hinaus eine große Hand, die man davor halten kann (im Falle von zu klein geratenen Patscherchen bieten sich die „#1“ Riesen-Schaumstoff-Hände an, die man vorrangig bei Eishockeyspielen erstehen kann).

Der Grund für diese Geheimniskrämerei ist einfach: der Zufall macht auch vor dem Spielleiter nicht halt. Zwar ist es ausgesprochen unterhaltsam, wenn der mit einer Hand an der Dachrinne hängende Charakter patzt und auf den Asphalt knallt. Wenn dann aber der offen gewürfelte Schaden ihn umbringt, ist das doof. Die Gefühle des Spielers sind da natürlich unerheblich – nach ein paar Stunden schreien und heulen kriegen die sich meist wieder ein … ein paar Ohrfeigen können helfen – aber die ganze Arbeit für den Spielleiter! Ein neuer Charakter muss gemacht werden, was bei den meisten Systemen ungefähr eine Woche zu je 8 Stunden am Tag dauert. Dann muss eine Prelude gespielt werden, neue NSCs erfunden, neue Feinde, Gemeinheiten, speziell auf diesen Charakter zugeschnittene Naturkatastrophen, Götter, die nur existieren, um dem Charakter das Leben schwer zu machen usw. Ein ellenlanger Rattenschwanz an Arbeit, und das nur, weil der Spielleiter keine Verhütung – sprich Würfelbecher – benutzt hat. Außerdem gibt es nichts Ärgerlicheres, als wenn der sorgfältig geplante Showdown platzt, weil der Bösewicht auf der Treppe patzt und wie Buster Keaton herunterrasselt. Oder im Kampf fortwährend danebenschlägt, nur weil die Spieler ausnahmsweise mal gut würfeln. Da ist schnell mal aus der 2 eine 20 gemacht: „Hoppla, kritischer Treffer! Du kriegst … wie viele TP hast Du noch? Sieben? Du kriegst 6 ¾ Punkte Schaden“ (die Arbeit… ihr wisst ja!).

2) Niemals den Spielern recht geben.

Gerade wenn die Spieler sich besser an den letzten Abend erinnern als man selber, wenn sie sich seitenweise Notizen gemacht haben und alle die gleiche Version des bisherigen Abenteuers wiedergeben, sollte man als SL einem Punkt vehement widersprechen. Das muss nicht der wichtigste Plotpoint des Abends sein, aber es sollte ein bemerkbarer sein. Das verunsichert sie! Etwas so:
Spieler: „Und dann sind wir in die Schenke gegangen und hatten Suppe.“
SL: „Nein, dass stimmt nicht ganz!“
Spieler: „Äh… (blättert in seinen Notizen) doch! Genauso war’s, oder Jungs?“
Andere Spieler: *zustimmendes Gemurmel*
SL: „Nein, ihr hattet Schinkenbrote!“
Spieler: „Tatsächlich?“
Andere Spieler: *kopfschütteln*
SL: *nicken*
Spieler: „Ist das wichtig?“
SL: „Wer weiß?“

Und damit kommen wir zu Punkt 3:

3) Niemals eine eindeutige Aussage machen.

Der Spielleiter sollte sich niemals zu eindeutigen Aussagen hinreißen lassen. Zum einen beschneidet das unnötig die Phantasie der Spieler und zum anderen muss man sich sonst zuviel merken. Einige Beispiele:
Spieler: „Wie weit ist denn das Monster noch weg?“
SL: „Och, ein ganzes Stück!“
Spieler: „Dann spanne ich jetzt meinen Bogen und lege einen Pfeil ein, ziele sorgfältig und schieße dann!“
SL: „Das dauert drei Runden, also darf dich das Monster sechsmal angreifen!“
Spieler: „Ich denke, es ist noch ein ganzes Stück weg?!“
SL: „Ja schon, so fünf oder sechs Meter halt! Jetzt würfel Stamina!“

Unterpunkt 3.1: Eine Frage immer nach Möglichkeit mit einer Gegenfrage beantworten.
Spieler: (dreht das Handout) „Also steht dieses Zeichen für Tod?“
SL: „Wenn Du das denkst?“
Spieler: „Oder für Leben?“
SL: „Sieht es denn so aus?“
Spieler: „Oder ist es das Zeichen für Elemente?“
SL: „Ist das denn nicht offensichtlich?“
Spieler: „Jetzt sag doch mal!“
SL: „Sollte ich das?“
Spieler: „Ach, scheißt der Ork drauf! Ich geh durch!“
SL: „Das macht dann 4672 Punkte Lavaschaden!“

4) Sei großzügig in kleinen Dingen und mies in Großen

Spieler merken es, wenn man sie fortwährend verarscht, niedermacht und ungerecht behandelt. Wenn man sich anschaut, wie lange sie brauchen, um selbst die einfachsten Rätsel zu lösen, erstaunt es einen, aber das tun sie wirklich. Also muss man ihnen immer mal wieder kleine Brosamen zuwerfen, damit sie unter dem spielleitereigenen Tisch hocken bleiben! Das erreicht man am besten, indem man ihnen Kleinigkeiten erlaubt.

„Ein Schwert +1? Kein Problem, kriegst Du! Und in der Truhe liegt auch eine Feuerballrolle der Stufe 342!“

Man erhält spätestens in der nächsten großen Szene eine Gelegenheit, sich die Genugtuung des Spielleitens wiederzuholen: „Tja, so ein Pech! Leider ist das Monster durch Feuer nicht zu verletzen und hat einen Rüstungsschutz von (ursprünglicher Wert +1)!“

5) Reiche diese Richtlinien niemals an Deine Spieler weiter!

Es wäre fatal, wenn sie die weltweite Verschwörung sadistischer Spielleiter und Spielleiterinnen durchschauen würden. Wir müssten dann bald wieder zum viel anstrengenderen Kinderauspeitschen übergehen, um unsere perversen Gelüste zu stillen!

 

 

 

Weiße Decke – Poetry-Slam-Text von André Wiesler

In diesem Video schlägt der Wuppertaler Wortpirat einmal andere Töne an. Weiße Decke ist ein nachdenklicher Text, der aus dem üblichen Repertoire des Spaßvogels ein wenig herausfällt.

http://www.andrewiesler.de