Erneut öffnet sich ächzend die staubbedeckte Archivkiste und spuckt eine weitere Kolumne aus dem Jahr 2001 aus. Und nein, ich weiß auch nicht, warum mein früheres Ich so verbittert war – vermutlich ist es einmal zu oft gezwungen worden, Vampire-Live zu spielen.
Spielleiter sein kann eine schwere Last sein. Sicher, man kann ungestraft seinen Sadismus an den sich windenden, jammernden Spielern auslassen, aber gerade das birgt manche Gefahren. Es ist wie bei der Tierdressur: Zuckerbrot und Peitsche. Benutzt man die Peitsche zu oft, werden die Löwen stinkig und früher oder später kommt einer auf die Idee: „Er kann nur einen von uns erschießen, bevor er tot ist!“
Lässt man hingegen die Leine zu lang und übertreibt es mit dem Zuckerbrot, werden die Löwen fett und keiner will Fellklumpen sehen, die kurzatmig auf Podesten hocken.
Nun sind zwar die meisten Rollenspieler vom langen Herumsitzen und Chips futtern bereits deutlich übergewichtig (oder sind sie vorher schon übergewichtig und werden darum Rollenspieler? Das sind soziokulturelle Vorgänge, die es wert wären, beleuchtet zu werden – aber nicht heute), aber wir wollen die Metapher auch nicht zu sehr strapazieren.
Ein guter Spielleiter beachtet folgende grundlegenden Prinzipien:
1) Niemals offen würfeln!
Kein Spielleiter, der was auf sich hält, würfelt offen. Auch wenn der gute alte Sichtschirm aus der Mode gekommen ist, hauptsächlich wegen der hässlichen Zweiteilung, die er im Sommer beim Draußen spielen dem Gesicht verpasst (oben braun, unten käsig), hat dieser Punkt bestand. Man sollte zumindest einen Würfelbecher sein eigen nennen und darüber hinaus eine große Hand, die man davor halten kann (im Falle von zu klein geratenen Patscherchen bieten sich die „#1“ Riesen-Schaumstoff-Hände an, die man vorrangig bei Eishockeyspielen erstehen kann).
Der Grund für diese Geheimniskrämerei ist einfach: der Zufall macht auch vor dem Spielleiter nicht halt. Zwar ist es ausgesprochen unterhaltsam, wenn der mit einer Hand an der Dachrinne hängende Charakter patzt und auf den Asphalt knallt. Wenn dann aber der offen gewürfelte Schaden ihn umbringt, ist das doof. Die Gefühle des Spielers sind da natürlich unerheblich – nach ein paar Stunden schreien und heulen kriegen die sich meist wieder ein … ein paar Ohrfeigen können helfen – aber die ganze Arbeit für den Spielleiter! Ein neuer Charakter muss gemacht werden, was bei den meisten Systemen ungefähr eine Woche zu je 8 Stunden am Tag dauert. Dann muss eine Prelude gespielt werden, neue NSCs erfunden, neue Feinde, Gemeinheiten, speziell auf diesen Charakter zugeschnittene Naturkatastrophen, Götter, die nur existieren, um dem Charakter das Leben schwer zu machen usw. Ein ellenlanger Rattenschwanz an Arbeit, und das nur, weil der Spielleiter keine Verhütung – sprich Würfelbecher – benutzt hat. Außerdem gibt es nichts Ärgerlicheres, als wenn der sorgfältig geplante Showdown platzt, weil der Bösewicht auf der Treppe patzt und wie Buster Keaton herunterrasselt. Oder im Kampf fortwährend danebenschlägt, nur weil die Spieler ausnahmsweise mal gut würfeln. Da ist schnell mal aus der 2 eine 20 gemacht: „Hoppla, kritischer Treffer! Du kriegst … wie viele TP hast Du noch? Sieben? Du kriegst 6 ¾ Punkte Schaden“ (die Arbeit… ihr wisst ja!).
2) Niemals den Spielern recht geben.
Gerade wenn die Spieler sich besser an den letzten Abend erinnern als man selber, wenn sie sich seitenweise Notizen gemacht haben und alle die gleiche Version des bisherigen Abenteuers wiedergeben, sollte man als SL einem Punkt vehement widersprechen. Das muss nicht der wichtigste Plotpoint des Abends sein, aber es sollte ein bemerkbarer sein. Das verunsichert sie! Etwas so:
Spieler: „Und dann sind wir in die Schenke gegangen und hatten Suppe.“
SL: „Nein, dass stimmt nicht ganz!“
Spieler: „Äh… (blättert in seinen Notizen) doch! Genauso war’s, oder Jungs?“
Andere Spieler: *zustimmendes Gemurmel*
SL: „Nein, ihr hattet Schinkenbrote!“
Spieler: „Tatsächlich?“
Andere Spieler: *kopfschütteln*
SL: *nicken*
Spieler: „Ist das wichtig?“
SL: „Wer weiß?“
Und damit kommen wir zu Punkt 3:
3) Niemals eine eindeutige Aussage machen.
Der Spielleiter sollte sich niemals zu eindeutigen Aussagen hinreißen lassen. Zum einen beschneidet das unnötig die Phantasie der Spieler und zum anderen muss man sich sonst zuviel merken. Einige Beispiele:
Spieler: „Wie weit ist denn das Monster noch weg?“
SL: „Och, ein ganzes Stück!“
Spieler: „Dann spanne ich jetzt meinen Bogen und lege einen Pfeil ein, ziele sorgfältig und schieße dann!“
SL: „Das dauert drei Runden, also darf dich das Monster sechsmal angreifen!“
Spieler: „Ich denke, es ist noch ein ganzes Stück weg?!“
SL: „Ja schon, so fünf oder sechs Meter halt! Jetzt würfel Stamina!“
Unterpunkt 3.1: Eine Frage immer nach Möglichkeit mit einer Gegenfrage beantworten.
Spieler: (dreht das Handout) „Also steht dieses Zeichen für Tod?“
SL: „Wenn Du das denkst?“
Spieler: „Oder für Leben?“
SL: „Sieht es denn so aus?“
Spieler: „Oder ist es das Zeichen für Elemente?“
SL: „Ist das denn nicht offensichtlich?“
Spieler: „Jetzt sag doch mal!“
SL: „Sollte ich das?“
Spieler: „Ach, scheißt der Ork drauf! Ich geh durch!“
SL: „Das macht dann 4672 Punkte Lavaschaden!“
4) Sei großzügig in kleinen Dingen und mies in Großen
Spieler merken es, wenn man sie fortwährend verarscht, niedermacht und ungerecht behandelt. Wenn man sich anschaut, wie lange sie brauchen, um selbst die einfachsten Rätsel zu lösen, erstaunt es einen, aber das tun sie wirklich. Also muss man ihnen immer mal wieder kleine Brosamen zuwerfen, damit sie unter dem spielleitereigenen Tisch hocken bleiben! Das erreicht man am besten, indem man ihnen Kleinigkeiten erlaubt.
„Ein Schwert +1? Kein Problem, kriegst Du! Und in der Truhe liegt auch eine Feuerballrolle der Stufe 342!“
Man erhält spätestens in der nächsten großen Szene eine Gelegenheit, sich die Genugtuung des Spielleitens wiederzuholen: „Tja, so ein Pech! Leider ist das Monster durch Feuer nicht zu verletzen und hat einen Rüstungsschutz von (ursprünglicher Wert +1)!“
5) Reiche diese Richtlinien niemals an Deine Spieler weiter!
Es wäre fatal, wenn sie die weltweite Verschwörung sadistischer Spielleiter und Spielleiterinnen durchschauen würden. Wir müssten dann bald wieder zum viel anstrengenderen Kinderauspeitschen übergehen, um unsere perversen Gelüste zu stillen!